MENSCHENRECHTE ALS GRUNDLAGE FÜR SICHERHEIT


Neue Zürcher Zeitung - NZZ Online
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1 October 2001 






Terrorismus im Blick des Warschauer OSZE-Treffens

Vor dem Hintergrund der Terroranschläge auf die USA hat sich die jährlich stattfindende Warschauer Menschenrechts-Implementationskonferenz der OSZE dieses Mal neben ihrem traditionellen Arbeitsfeld auch intensiv mit den Zusammenhängen von Menschenrechts- und Sicherheitspolitik beschäftigt.

ruh. Warschau, Ende September
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat in Warschau ihre jährliche Konferenz zur Umsetzung der Menschenrechte im Raum der OSZE-Staaten durchgeführt. Bei dieser Konferenz geht es darum, in Kleinarbeit den Entwicklungsstand von Prozessen und Projekten zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in den Teilnehmerstaaten zu überprüfen. Wiederkehrende Themen des Anlasses sind deshalb Fragen des Aufbaus demokratischer Institutionen, der Durchsetzung des Rechts und der Garantie der Grundrechte und -freiheiten in den einzelnen Staaten sowie eine kritische Beleuchtung der von der OSZE angewendeten Mechanismen im Bereich der Menschenrechte.

Aktuelle Fragestellungen

Naturgemäss stand die nur knapp eine Woche nach den Terroranschlägen auf New York und Washington eröffnete zweiwöchige Konferenz im Zeichen dieser Angriffe und ihrer Auswirkungen auf die weltweite Sicherheitspolitik. Der Direktor des in Warschau beheimateten OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (Odihr), der Schweizer Diplomat Gérard Stoudmann, wies darauf hin, dass diese Ereignisse ein sehr klares Beispiel für den Zusammenhang zwischen der Respektierung von Grundfreiheiten, Menschenrechten und demokratischen Werten auf der einen und Sicherheit auf der anderen Seite seien. Dieser Zusammenhang sei bisher aber zu wenig klar herausgestrichen und wahrgenommen worden. Stoudmann legte grossen Wert auf die Feststellung, dass es heute nicht um einen Zusammenprall verschiedener Zivilisationen oder Religionen gehe; er erinnerte daran, dass in den siebziger und achtziger Jahren auch Westeuropa mit dem Phänomen eines auf eigenem Boden entstandenen Terrorismus zu kämpfen gehabt habe.

Einer der Schwerpunkte der Konferenz lag auf dem relativ jungen Phänomen des Menschenhandels. Und zwar, wie Stoudmann sagte, nicht nur deshalb, weil Menschenhandel eine neue Form der Sklaverei sei, sondern weil hier der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und internationaler Sicherheit besonders klar zum Ausdruck komme. Es handle sich um einen beängstigend schnell wachsenden Zweig der Kriminalität und eine bedeutende Einnahmenquelle für das organisierte Verbrechen. Es liege ferner in der Natur des Menschenhandels, dass er für seine Abwicklung eine gewisse Korrumpierbarkeit staatlicher Organe benötige und damit auf ein demokratisches Gemeinwesen destabilisierend wirke; spätestens hier komme der internationale Sicherheitsaspekt ins Spiel. Der Zusammenhang zwischen organisiertem Verbrechen, das auf Bereicherung ausgerichtet sei, und Terrorismus, der politische Ziele verfolge, sei zwar nicht zwingend; doch sei evident, dass sich die zwei Bereiche auf ähnliche Infrastrukturen abstützten und zwischen ihnen auch Verflechtungen bestünden.

Die Dominanz sicherheitspolitischer Problemstellungen der letzten Tage führte an der Konferenz zur Frage, ob nicht die Gefahr bestehe, dass der Wahrung und Unterstützung der Menschenrechte jetzt weniger Priorität eingeräumt und damit deren Bedeutung für die sicherheitspolitische Dimension erneut unterschätzt werde. Die Befürchtung steht im Raum, dass dies im Zusammenhang mit Ländern geschehen könnte, die für den Aufbau einer globalen Koalition gegen den Terrorismus gebraucht werden (wenn auch die Bildung dieser Koalition keinesfalls in Zweifel gezogen wird). Es könnten mithin Konflikte wie derjenige in Tschetschenien oder das Problem des Islamismus etwa in Usbekistan jetzt ausschliesslich auf die Formel der Terrorismusbekämpfung reduziert werden. Repression, so warnt Stoudmann, führe aber generell dazu, dass der sich auflehnende Teil der Bevölkerung noch mehr von der zentralen Macht entfremdet werde. Damit werde ein Problem aber eher verschärft. Die Schwierigkeit bestehe darin, die jeweiligen Führungsorgane davon zu überzeugen, dass für eine dauerhafte Lösung die Grundlagen des Problems erkannt und behandelt werden müssten.

Entwicklung des Warschauer Büros

Neben der Diskussion der aktuellen Fragen hatte das Warschauer OSZE-Menschenrechtsbüro auch einen kleinen Grund zum Feiern. Denn es besteht nun seit zehn Jahren und hat namentlich in der letzten Zeit seine Aktivitäten deutlich intensiviert und dadurch auch seine Identität gefunden. Entstanden war es als "Büro für freie Wahlen" auf Grund der OSZE-Charta von Paris. Wahlbeobachtung ist zwar auch heute noch eine der Kernaktivitäten, und in diesem Bereich gehört das Büro inzwischen zu den wichtigsten Institutionen auf internationaler Ebene; für die jüngsten Parlamentswahlen im Gastgeberland Polen wurden seine Dienste indes schon nicht mehr benötigt, was die Fortschritte einiger Länder in Ostmitteleuropa unterstreicht. Schon 1992 wurde aber das Mandat auf die Problematik der Menschenrechte und des Aufbaus demokratischer Institutionen ausgeweitet. Zunächst geschah dies auf der Basis von Seminarien; seit 1997 verlagerte sich der Schwerpunkt auf konkrete Projekte. In Zusammenarbeit mit anderen OSZE-Institutionen implementieren die rund 80 Mitarbeiter des Odihr gegenwärtig etwa 100 Projekte, vor allem in Ländern Osteuropas, Zentralasiens, des Kaukasus und des Balkans.

"Young Voices" - Optik der Kinder

ruh. Unter den an der Konferenz angebotenen Begleitveranstaltungen fand sich auch eine Präsentation namens "Young Voices". Sie stellt eine breit angelegte Umfrage unter rund 15 000 Kindern und Jugendlichen im Alter von 9 bis 17 Jahren in zahlreichen Ländern zwischen dem Atlantik und Ural - einer Weltgegend mit fast 100 Millionen Kindern - vor. Die Fragen lauten, was Glück für Kinder bedeutet, wovor sie Angst haben, was sie sich für die Zukunft wünschen.

Die vom Uno-Kinderhilfswerk Unicef initiierte und vom Warschauer OSZE-Büro mitgetragene Untersuchung möchte eine Grundlage dafür bilden, dass die Frage der Rechte von Kindern in Zukunft vom Rand ins Zentrum der Menschenrechtsdiskussion verlagert werden kann. Indem die Untersuchung versucht, vor allem die jugendliche Optik der Kinder selbst zu erfassen, soll dazu beigetragen werden, ihre Probleme genauer zu umreissen und ihre Stellung als Mitglieder einer offenen Gesellschaft zu stärken.